Als Psychologin bin ich es gewohnt, Menschen in Krisen zu begleiten und mich schwierigen Themen zu stellen. Es ist ein fordernder Balanceakt zwischen Anteilnahme und Abgrenzung, doch meist gelingt er sehr gut. Diese Fähigkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für meine Arbeit.
Manchmal aber gibt es Situationen, die uns alle betreffen und die mich ratlos zurücklassen. Und auch ich habe dann nicht immer eine Antwort.
Der Krieg in der Ukraine ist eine solche Situation. Auch wenn ich meinen Alltag gut bewältige, greift manchmal die Angst nach mir. Sie nistet sich in meinem Kopf und in meinem Herzen ein und blockiert mich. Vielen meiner Klient*innen geht es genauso. Gerade noch reden wir über den Job oder die Kinder und plötzlich packt die Angst vor dem Krieg zu und steht mitten im Raum. Alles andere wird unwichtig.

Es gibt keine gute oder richtige Antwort auf die Angst, aber es gibt Möglichkeiten, damit umzugehen. Viktor Frankl, der jüdische Arzt und Psychologe, der im Zweiten Weltkrieg mehrere Konzentrationslager überlebt hat, sagt dazu:
Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.
Dr. Viktor Frankl
Angst macht ohnmächtig und klein. Die Macht der Reaktion zu nutzen und vom Grübeln ins Tun zu kommen, kann heilsam sein. Wenn uns Ohnmacht überkommt, können wir uns also ganz konkret die Frage stellen:
Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich aktuell?
Kann ich spenden?
Kann ich mich bei der Flüchtlingshilfe engagieren?
Kann ich auf die Straße gehen und mich einer der zahlreichen Friedenskundgebungen anschließen?
Bin ich gläubig (und das muss nicht unbedingt eine Religionszugehörigkeit bedeuten) und kann durch Gebete, Meditationen und gute Gedanken helfen?
Kann ich meine Reichweite auf einer Social-Media-Plattformen nutzen, dort meine Solidarität bekunden und Beiträge teilen?
Neben diesen konkreten Handlungen ist Selbstfürsorge wichtig. Ein rasches Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Und selbst wenn die Ukrainekrise sich schnell beruhigen sollte, gibt es da immer noch die Coronapandemie und die Klimakrise, die uns Sorgen bereiten.
Auch wenn in meiner unmittelbaren Nähe Schlimmes passiert, richte ich den Blick auf das Positive. Auf ein gutes Essen mit meiner Familie, auf den Sonnenschein, auf einen beruflichen Erfolg – und manchmal bleibt die Angst hinter diesen Ereignissen zurück und meldet sich ein paar Stunden nicht. Wenn sie wieder hervorkommt, rede ich sie nicht klein, ich dränge sie nicht auf die Seite, ich nehme sie wahr. Manchmal spreche ich mit anderen darüber, manchmal sehe ich mir etwas Lustiges im Fernsehen an und manchmal gebe ich ihr Raum und lasse sie für einige Zeit die Kontrolle übernehmen. Weil es eben so ist in Krisenzeiten. Weil die Angst mich nun begleitet.
Ich lasse mich aber nicht mehr ängstigen als unbedingt notwendig. Der kritische und dosierte Umgang mit Medien ist ein wichtiger Faktor dabei. Denn das Leid in Echtzeit zu verfolgen, bringt weder mir noch den Menschen in der Ukraine etwas. Mehr dazu habe ich in meinem Beitrag zum Umgang mit dem Panik-Dino geschrieben.
Und über allem steht für mich die Hoffnung. Die Hoffnung auf Vernunft, auf eine gute, gemeinsame Zukunft und auf Frieden. Und auch die lasse ich mir unter keinen Umständen nehmen. Denn zu hoffen, egal was passiert, bedeutet ein Stück Freiheit.

Wenn du überfordert bist und dir alles zu viel wird, zögere nicht, dir Hilfe zu holen. Bei den österreichischen Krisentelefonen erhältst du sofort Unterstützung und kannst dir weiterführende Hilfestellungen vermitteln lassen.
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